Dienstag, 12. Mai 2015

Welcome to Iran



Seit etwas mehr als einer Woche werden wir immer wieder so begrüßt. Manchmal ruft es uns jemand auf der Straße zu; manchmal kommen wir mit den Leuten in der U-Bahn ins Gespräch oder die Autofahrer die im Stau neben uns stehen fragen uns aus und heißen uns herzlich willkommen.

Aber bevor wir den Iran erreichten, musste natürlich erst Armenien verlassen werden:
Unsere letzten Tage in Armenien verbrachten wir damit einen geschlängelten Pass nach dem nächsten zu queren, zusammen mit den ersten iranischen LKWs. Es wurde immer grüner und bewaldeter und wir genossen die weiche Aussicht auf die voll bewachsenen Hänge. Kurz vor der Grenze fanden wir in der Nähe der Straße einen Stellplatz auf 1800 Höhenmetern, wo der Frühling noch nicht angekommen war und die letzten Reste Schnee noch nicht ans Schmelzen dachten. Dies war unser Ausgangspunkt für den Tag des Grenzübertritts. Ein Tag mit mehr als 24 Stunden!

Der Weg führte uns am Morgen hinunter ins Tal und mit den fallenden Höhenmetern stieg die Temperatur und die Umgebung wurde trockener. Noch in Armenien hielten wir an einer Trinkwasserstelle und wurden von einem in der Nähe wohnenden älteren Herrn zum Tee eingeladen. In der etwas runtergekommenen Behausung wurden wir mit Datteln und Chai bewirtet und hielten mit einigen Englischen Sprachfetzen eine Unterhaltung in Gange. Plötzlich gesellte sich ein iranischer Trucker zu uns, der auf der Heimreise seine letzten iranischen Dieselreserven direkt aus dem Tank an unseren Wirt  verkaufte. Unter langen Reden und dem Ablehnen vieler kleiner Süßigkeiten reisten wir nach einer Weile weiter.

In dem letzten Ort vor der Grenze investierten wir unsere letzten armenischen Dram, unteranderem in Cola und Chips!: ) Das Verschicken einiger Karten weitete sich in ein Bürokratisches Abenteuer aus, denn für fünf Postkarten musste die Dame hinter dem Schalter fünf zusammenhängende Kassenzettel drucken, unterschreiben und abstempeln. Mit einem einen Meter langen Beleg in der Tasche ging es zur nächsten Tagesaufgabe.

Beleg für fünf verschickte Postkarten


Die armenische Grenze erinnerte uns ein wenig an die Suche von Asterix und Obelix nach dem Passierschein A39.  Zunächst mussten wir unsere Unterlagen vorzeigen um überhaupt bis zum Grenzgebäude vor gelassen zu werden, dann suchten wir uns mithilfe der freundlichen iranischen LKW-Fahrer, die durch dieselbe Prozedur mussten, durch das Schalter-Wirrwarr. Es galt unser Steuerkonto zu schließen, die Broker zu bezahlen, Passportkopien anzufertigen, noch einmal Armenische Dram abzuheben, um die Kopien zu bezahlen, das Auto vorzufahren und kurz von außen besichtigen zu lassen, getrennt durch die Absperrung zu fahren bzw. zu laufen und sich dabei einen Ausreisestempel abzuholen. Nachdem wir scheinbar die richtige Reihenfolge gemeistert hatten und in der Hoffnung keinen Schalter übersehen zu haben, ging es weiter zu Autokontrolle. Zum ungefähr dritten Mal wurden unsere Daten in eine Computer getippt, dann begann bei mittlerweile 33ºC die Fahrzeugdurchsuchung in der prallen Sonne. Sehr gewissenhaft öffnete der verantwortliche Soldat alle möglichen Schränke, nahm etwas heraus, sortierte es wieder ein, starrte hypnotisiert für eine halbe Minute auf unsere Olivenölflasche, gab dann nach Dreiviertel der Schränke auf und ließ uns weiterziehen. Vor der letztendlich letzten armenischen Passkontrolle warf ich mir ein viel zu dickes Kopftuch über die Haare und wir konnten die Einreise in Angriff nehmen.

Auf der iranischen Seite wurde unser Auto desinfiziert, unser Carne de Passage ausgefüllt (ein Zolldokument, das die Ausfuhr des Fahrzeugs sicherstellen soll) und wieder Pässe gestempelt. Niemand fragte uns nach Drogen, Alkohol oder Schweinefleisch. Niemand durchsuchte unser Auto auf solche verbotenen Substanzen. Unser Schokoschwein, das wir noch immer nicht geschlachtet haben, schaffte es also auch durch die Kontrolle. Nach zweieinhalb Stunden hatten wir beide Grenzposten erfolgreich und ohne größere Probleme passiert. 

Welcome to Iran.

Mit einem Mal befinden wir uns im Jahre 1394, mit einer Zeitverschiebung von 2,5 Stunden von zu Hause entfernt und der Wechselkurs beträgt 1:37000 Rial. Es gibt wieder Autobahnen und durchgängig gut asphaltierte Straßen. Und statt Armenisch wird nun Farsi gesprochen.

Als erstes Ziel steuerten wir Jolfa und später den Grenzfluss zwischen Iran, Aserbaidschan und Armenien an. Als wir kurz an der Straße hielten, um unsere Einreise etwas sacken zu lassen, holten uns zwei der iranischen Grenzer ein, die vorher unseren Carne gestempelt hatten. Sie hätten jetzt Feierabend und außerdem hätten sie einen Fehler in unserem Carne gemacht. Etwas irritiert zeigten wir ihnen das Grenzdokument und schauten ein wenig hilflos dabei zu, wie einer der Beiden begann, in unserem Zolldokument eine Zahl zu ändern. Wir hoffen, dass bei der Ausreise jemand etwas damit anfangen kann…

Wir durchquerten Jolfa, wurden hart von dem Kulturschock getroffen und gelangten dann an eine Straße, die immer parallel zum erwähnten Grenzfluss verläuft. (In Armenien war alles ruhig, klein und grau gewesen, plötzlich waren vor lauter Schaufenstern keine Häuser mehr zu sehn, Neonblinklichter waren plötzlich wieder Mode und die Stadt war einfach voller Menschen!) 

Um die Straße am Grenzfluss befahren zu können, musste man eine stationäre Militärkontrolle passieren, was für uns natürlich als einzige bedeute, angehalten und kontrolliert zu werden. Aber die Soldaten waren mehr an uns und unserem Auto interessiert, als an den Formalitäten. Sie hießen uns herzlich willkommen, freuten sich über die Deutschen, winkten uns weiter. Etwas weiter die Straße entlang  liegt ein altes armenisches Kloster, welches wir zu besichtigen dachten. Da wir aber noch nicht zum Geldwechseln gekommen waren, konnten wir uns das Gemäuer nur von außen betrachten, ein wenig im Schatten entspannen und die ersten Iraner beim hier allseits beliebten Picknicken beobachten

Stephanskloster im Iran
Kaum fuhren wir vom Klosterparkplatz, als wir von einer mobilen Militärkontrolle angehalten wurden. Die vierte Instanz kontrollierte an diesem Tag unsere Pässe und fragte uns aus. Es wurde ausgerechnet wieviel Jahre Fabi und ich auseinander sind, dann durften wir weiterfahren. Wir passierten noch eine weitere stationäre Kontrolle, die uns ausnahmsweise nicht anhielt, dann begann unsere Suche nach einem geeigneten Stellplatz. 

Das Land war mittlerweile kahl und trocken, aber weiterhin von hohen Bergen durchzogen. An den Hängen blühte Mohn und färbte den Boden rot, in Flussnähe standen ein paar Bäume. Es ist wenig Platz, um sich zu verstecken, also blieben wir in einer Nische in der Nähe der Straße stehen.
Im Bus war die Temperatur auch kurz vor Sonnenuntergang natürlich nicht auszuhalten, aber draußen wehte ein stetiger Wind, also machten wir es uns auf unseren Campingstühlen gemütlich. Diese Gemütlichkeit sollte aber nicht lange währen: Ein großer schwarze Hund? querte plötzlich einige hundert Meter von uns entfernt die Ebene und verschwand ohne uns weiter zu beachten zwischen zwei Hügeln und aus unserem Gesichtsfeld. Etwa im selben Moment erhob sich auf den gegenüberliegenden Bergen das Geheul mehrerer Wölfe. 

In Kombination mit der einfallenden Mückenhorde fanden wir uns überraschend schnell in unserem wunderbar überheizten Bus wieder…
Gerade als wir es uns gemütlich gemacht hatten und den Tag langsam abhaken wollten, hörten wir, wie sich ein Motorrad näherte, vor unserem Bus stehen blieb und eine herrische Stimme begann, uns in Persisch anzurufen. Völlig perplex hüllte ich mich in höchstmöglicher Geschwindigkeit in die vorgeschriebene Kleiderordnung (Mantel und Kopftuch), während die Herren draußen langsam ungeduldig wurden. Als wir endlich die Tür öffnen konnten, erblickten wir zwei Soldaten, die zwar ohne Helm aber mit Maschinengewehr über der Schulter in dem Grenzgebiet unterwegs waren. Ohne ein Wort Englisch zu sprechen, konnten sie uns trotzdem ohne Probleme klar machen, dass wir hier absolut nichts zu suchen hatten und dass wir jetzt sofort mitkommen müssten. Wir hatten also versucht in militärischen Sperrgebiet zu campen….

Nachdem ein weiteres Mal unsere Ausweise kontrolliert worden waren, wurden wir von den beiden ungefähr fünf Kilometer bis zum nächsten Kontrollpunkt eskortiert. Und dann brachten sie uns zu unserer Überraschung noch ein paar Kilometer weiter, bis zu einem campingplatzähnlichen Parkplatz, auf dem sich einige Iraner zum Grillen und Autobasteln versammelt hatten. 

Die Soldaten verschwanden so schnell wie sie gekommen waren und mit noch weniger Worten und Fabi machte sich zu den iranischen Autoschraubern auf, um nach Toiletten oder ähnlichem zu fragen. Anschließend begann der erneute Versuch, zur Ruhe zu kommen, es war bereits nachts um elf, als es unvermittelt wieder an unserer Tür klopfte und jemand nach uns zu rufen begann. Schockstarr saßen wir wieder senkrecht im Auto, das Verhüllen ging mir auch noch immer nicht schneller von der Hand, doch als wir endlich die Seitentür öffnen konnten, befanden wir uns nicht wieder von Angesicht zu Angesicht mit ein paar griesgrämigen Soldaten, sondern mit einem der Autobastler, der uns nur ein Stück frisch gegrillten Fisch vorbeibringen wollte.

Erster Stellplatz


Welcome to Iran! 

Unser weiterer Aufenthalt gestaltete sich bisher zum Glück weniger nervenaufreibend. Auf der Straße nach Tabriz begegneten wir am nächsten Tag zwei türkischen Truckern, die uns zum Tee einluden. Anschließend stürzten wir uns in unser erstes iranisches Großstadtgewimmel, schon allein wegen der Fahrweise ein Abenteuer:

Zum Glück braucht man sich aber im Iran keine Sorgen machen, dass man falsch abbiegen oder seine Ausfahrt verpassen könnte und dann wie teilweise in Deutschland durch die halbe Stadt gurken muss, um an die richtige Stelle zurückzukommen.
Wer im Iran seine Ausfahrt verpasst, zieht auf der dreispurigen Schnellstraße einfach unvermittelt von der linken Spur auf den Standstreifen, legt den Rückwärtsgang ein, umkurvt unter Mitbenutzung der rechten Spur erfolgreich die auf dem Standstreifen parkenden Autos, von denen zwei wegen Motorüberhitzung liegen geblieben sind und drei einfach nur so auf ihre Fahrer warten, verfehlt nur knapp die Motorräder, die sowohl mit als auch gegen die Fahrtrichtung unterwegs sind, und wahlweise drei oder vier Passagiere transportieren, und weicht auch den Melonenverkäufern aus, die vor lauter Engagement schon fast auf dem Mittelstreifen stehen und den möglichen Käufern zuwinken, während in dem Auto selbst ein vierjähriges Kind auf der Mittelkonsole steht und aus dem Dachfenster schaut. Nachdem der Autofahrer nun endlich seine Abfahrt erreicht hat, muss er leider feststellen, dass sich auf den zwei vorhandenen Spuren gerade ein vierspuriger Stau gebildet hat, aber natürlich zögert er nicht, auf dem Grünstreifen neben der Straße eine fünfte Spur aufzumachen und so bis zur Einengung mindestens fünf Autos überholen zu können.

Natürlich ist das ganze etwas übertrieben. Aber zumindest haben wir jede Situation einzeln bereits beobachten können, bloß die Kombination blieb uns bisher erspart. Der fast immer vorhandene Standstreifen bleibt aber der Ort, an dem Verkehrsregeln aufgehoben zu sein scheinen. Sowohl Autos als auch Motoräder sind in beide Richtungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf diesem Stück Asphalt unterwegs oder parken es zu und scheuen sich nicht immer, die Fahrspur mitzubenutzen. Und doch achten alle sehr aufeinander und irgendwie entsteht ein Strom, in den man sich einordnen kann und der einen langsam aber recht sicher durch den Verkehr schwimmen lässt.

Aus zwei Spuren mach fünf


Zurück zu Tabriz:
Wir überstanden die erste iranische Millionenstadt gut und mussten nur zwecks Parkplatzsuche ein paar Extrarunden drehen. Für ein wenig Internet und Wasser aus der Wand mieteten wir uns in ein etwas überteuertes Guesthouse ein und gingen anschließend die Stadt entdecken. Wir besuchten den Basar, der mit Gold, Teppichen, Gewürzen und Schubkarren voller Rinderhufe aufwarten konnte. Auf dem Weg zur blauen Moschee, die im 18.Jahrhundert durch ein Erdbeben stark zerstört wurde und die erst jetzt im Wiederaufbau begriffen ist, trafen wir einen älteren Herren, der uns als Deutsche in der Masse identifizierte und uns anbot, uns ein wenig durch seine Stadt zu führen. Wir besichtigten gemeinsam die Moschee, in der wir von einer Horde junger Schülerinnen geradezu überfallen, ausgefragt und fotografiert worden, und ließen uns anschließend in einen Imbiss führen, in dem wir das erste Mal iranisches Kebab verspeisten. Wir lernten einiges über die Moschee und iranisches Essen und konnten nach diesem herzlichen ersten Stadtbesuch erschöpft in unsere Betten fallen.

Basar in Tabriz

Die noch nicht wieder vollständig restaurierte Blaue Moschee


In der Blauen Moschee von Tabriz
Eingefärbte, lebendige Küken in Tabriz auf dem Markt

Nach Tabriz suchten wir uns mit dem kleinen Bergdörfchen Masuleh ein etwas ruhigeres Ziel, doch unterwegs mussten wir feststellen, dass wir nach Georgien und Armenien dazu neigten, die Entfernungen in diesem riesigen Land völlig zu unterschätzen. Es wurde ein Tag, den wir komplett auf schlecht ausgesuchten, weil viel zu kleinen und teilweise kaputten, Straßen hätten verbringen können, hätte nicht auf einem steil ansteigenden Pass, auf dem wegen der vielen Schlaglöcher keine motorkühlende Geschwindigkeit möglich war, unser Auto Überhitzung gemeldet. Wir mussten an der Straßenseite stehen bleiben und abwarten. Plötzlich hielt eines der vorbeifahrenden Autos an und wir wurden von den Insassen, Ali, seiner Frau und seiner Tochter Sheela eingeladen, sie zum Picknick zu begleiten. Sheela sprach recht fließend Englisch und wir erklärten ihr unser Problem, dass wir noch warten mussten. Die drei stiegen enttäuscht wieder ins Auto, ließen den Motor an, machten den Motor wieder aus, stiegen alle wieder aus, erklärten uns, dass ihr Auto auch überhitzt sei und dass man das Picknick auch direkt hier am Straßenrand haben könne. Unsere leisen Proteste überhörend, wurde in Windeseile eine Decke im Schatten der CloudMachine ausgebreitet und auf der anderen Straßenseite ein Feuer entfacht und eine halbe Stunde später wurden uns erst Fisch und später Hühnerherzen serviert. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir uns noch über die picknickwilden Iraner gewundert, die auch nicht davor zurückschrecken, ihren Ausflug ins Grüne direkt neben der Autobahn zu veranstalten, wenn gerade nichts Besseres zu finden ist und plötzlich saßen wir selbst am staubigen Straßenrand und grillten… 

Sheela erzählte von ihrem Wunsch Medizin zu studieren, von der Leidenschaft ihres Vaters fürs Münzensammeln und wie sehr sie von dem Kopftuch genervt sei. Von ihren Eltern wurden wir beinahe zum Essen genötigt, zumindest wurde immer wieder nachgefragt, ob es uns nicht schmecken würde, wir würden ja gar nichts essen. Dass wir eine Stunde zuvor erst Mittag gegessen hatten, war auf keinen Fall eine geltende Ausrede… Stattdessen entschuldigten sich die drei nur immer wieder dafür, uns aufgehalten zu haben.

Welcome to Iran

Masuleh erreichten wir letztendlich erst am darauffolgenden Tag. Das Dorf schmiegt sich in die bewaldeten Hänge der regenreichen Umgebung des kaspischen Meeres. Die Dächer der Häuser dienen gleichzeitig als Terrasse und Fußweg für die darüber liegenden Gebäude, in unzähligen Touristenläden werden handgefertigte Taschen verkauft und die Wochenendausflügler der Teheraner High Society schieben sich durch die Gassen. Es war trotz der vielen Leute gemütlich und angenehm kühl und wir fanden ganz in der Nähe einen Stellplatz zwischen picknickenden Iranern.

Masuleh und eine Kopftuchimpression

Am nächsten Tag kamen wir bis ans Kaspische Meer, an dem zwischen Reisfeldern, Teeplantagen und dicht bebauten Straßenschluchten kaum ein Stück öffentlicher Strand zu finden ist. Wir saßen unfreiwillig wieder den ganzen Tag im Auto, fuhren an unzähligen Markenläden vorbei, mit denen wir beide nicht gerechnet hätten, sahen das Meer immer nur in der Ferne blitzen und waren ansonsten damit beschäftigt uns intensiv auf den Verkehr zu konzentrieren. Weil wir am nächsten Tag wegen unseres Praktikums bis nach Teheran wollten, saß uns etwas die Zeit und die Kilometer im Nacken und erst als die Sonne untergeht, fanden wir nach langer Sucherei einen richtigen Campingplatz am Meer. Weil noch keine Badesaison ist, war der Frauenbadebereich noch nicht mit Tüchern verhängt, nur ein den Strandabschnitt umziehendes Metallgerüst zeugte von der sommerlichen Geschlechtertrennung. Die anwesenden Iraner hatten ihre Zelte unter kleinen überdachten Schutzhütten aufgeschlagen und es wurde wieder überall fleißig gegrillt. Der Zeltplatzwart stellte die bisher noch nicht vorgekommene Frage, ob wir Jugoslawen seien, hieß uns aber auch als Deutsche herzlich willkommen.

Reisfelder


Das kaspische Meer und die Frauen im Tschador

Und das waren nur die ersten viereinhalb Tage.

Welcome to Iran

Den Zeltplatz in Si Sangan verließen wir am nächsten Morgen und machten uns auf den Weg, um durch das hohe Alborzgebirge nach Tehran zu kommen. Auf dem Weg zeigten sich beeindruckende Felsformationen, in denen man die Entstehung dieses Gebirges, seine Auffaltung und seinen Wuchs nach oben sehen kann, als ob das Gebirge Jahresringe, einem Baum gleichend, hätte. Unter Anwendung unserer mittlerweile verinnerlichten Technik, bei Bergaufstrecken und heißem Wetter die Heizung maximal anzuwerfen, um einer Überhitzung des Motors entgegenzuwirken, prügelten wir die Cloudmachine die Serpentinen hinauf.

Auf dem Weg fiel uns ein Jeep mit Aufbau auf, der zusätzlich noch ein italienisches Nummernschild vorzuweisen hatte. Ein U-Turn brachte uns zu den beiden Besitzern: Ein Ehepaar, mittlerweile pensioniert, die sich auf der Rückreise einer großen Ausfahrt nach Indien befanden und das klare Bergwasser nutzten, um einen kleinen Waschtag einzulegen. Von viel Ruhe und Bedacht war auf ihrer Rückreise Nichts mehr zu merken, laut ihrer Planung wollen sie innerhalb eines Monats wieder in ihrer Heimatstadt ankommen, wobei sie wohlgemerkt noch durch Armenien und Georgien reisen möchten. Wir tauschten GPS-Koordinaten und Reisetipps aus und entließen uns gegenseitig in unsere weiteren Abenteuer.
Unseres bestand als Nächstes darin, nach Teheran hineinzufahren. Der Stadt eilt ein legendärer Ruf voraus, dass der Verkehrskollaps zu jeder Tageszeit kurz bevor steht. Kombiniert mit der bereits beschriebenen Fahrweise der Iraner, soll das Autofahren in der Hauptstadt maximal ungemütlich sein. Dies im Hinterkopf entschieden wir uns, auf jeden Fall einen Parkplatz in Nähe einer etwas peripherer gelegenen Metrostationen zu suchen. Die in der Karte verzeichnete, nahegelegenste Grünfläche im Nordwesten der Stadt, sollte unser Ziel sein. Da selbige jedoch keinerlei Einfahrt aufwies und sonst im Wesentlichen aus dem gigantischen Azadi-Stadion bestand. hielten wir an einem nahegelegenen Reiterhof (oder Reiter-Sportstätte) und wollten nur kurz fragen, ob der Sicherheitsmann eventuell eine Idee hätte, wo wir parken könnten. Mangels Englischkenntnissen, wurde zunächst eine passierende Pferdesportlerin zu Rate gezogen, die uns dann wiederum vermittelte, dass an dem Ort auch Deutschsprachige anwesend sind. Diese tauchten dann zunächst in Form einer tatsächlich recht fließend deutschsprechenden Iranerin und später in ihrem, dem Baden-Württembergischen  entstammenden, Ehemann auf. Nach Rücksprache mit dem Manager der Anlage, wurde uns angeboten doch einfach auf dem Parkplatz der Sportanlage zu bleiben. Ein paar Tage kann das schon möglich sein. Doch die Freundlichkeit der beiden war damit noch nicht beendet. Sie fuhren (!) uns noch zur Metrostation und erwarben unsere ersten U-Bahn-Tickets und zeigten uns den Weg über die Autobahnkreuze zu einem Mega-Hyper-Supermarkt in der Nähe. Zutiefst dankbar und zufrieden konnten wir an dem Abend einschlafen.
Der nächste Morgen begann recht zeitig, denn wir hatten einen Termin mit der Auslandsbeauftragen der Tehran University of Medical Sciences (TUMS). Also hinein in das Getümmel der Metro! Der erste Zug war noch locker besetzt, der zweite musste jedoch eher tetrisartig bestiegen werden, sprich jeder freie Raum wurde akribisch mit Pendlern besetzt. Nach dem zweiten Umstieg das gleiche Bild: Wenn es, wie in Tokyo wohl üblich, Angestellte mit weißen Handschuhen gäbe, die die Passagiere in die Waggons drücken, wäre dies durchaus passend gewesen. An dieser Stelle erwähnenswert ist wohl, dass der erste und letzte Wagen der Tehraner Metro mit einem „Women Only“ Schild markiert ist, damit ja nicht Mann und Frau ausversehen in dem Menschenpuzzle zu nah aneinander geraten. Das heißt nicht, dass in den anderen Wagen keine Frauen fahren dürfen, aber in den zwei genannten eben keine Männer.

Ausgespuckt wurden wir an einem der vielen großen Verkehrsknotenpunkte im Stadtzentrum und machten uns auf dem Weg, die in der Email recht schwammig beschriebene Adresse aufzusuchen. Unter Zurate ziehen zahlreicher hilfsbereiter Menschen erreichten wir endlich eine Art Admission Officer, die uns dann erklären konnte, dass wir uns im völlig falschen Gebäude in der völlig falschen Straße befanden. Nachdem sie uns den Weg auf unserer Karte gezeigt, mündlich erklärt und in Form einer, einem Navigationsgerät gleichenden schriftlichen Wegbeschreibung, aushändigte, fühlte sie sich wohl sicher genug, dass wir unseren Weg mit größerer Wahrscheinlichkeit finden würden.
Tatsächlich landeten wir sicher in dem Gebäude für die Foreign Affairs der TUMS und fanden die Dame, mit welcher wir schon im Vorfeld so intensiven Schriftverkehr pflegten. Überaus freundlich wurden wir empfangen, ausgefragt und mit Ausweis, Ersti-Mappe und Tee versorgt und schlussendlich ließ sie es sich auch nicht nehmen, mit uns in einem Taxi an die entsprechenden Krankenhäuser zu fahren, um uns unseren Betreuern vorzustellen.

Nach diesem Rundum-Service hatten wir nun noch den Rest des Tages, um die Stadt ein wenig zu erkunden. Zielstrebig bewegten wir uns in Richtung Imam Khomeini-Platz und saugten auf dem Weg genüsslich das Gewusel der Großstadt und ihre heiße, stickige, abgasgeschwängerte Luft auf. Ein kurzer Ausflug in das Pamenarviertel, welches etwas urwüchsiger und basariger wirkte und die ganze Zeit die Suche nach einem Telefonladen, in dem wir eine Prepaidkarte erwerben konnen. Nach vielem Rumfragen und –suchen konnte ein Irancell-Laden ausfindig gemacht werden, in dem wir von Schalter zu Schalter geschickt, unsere Pässe kopiert und unsere Fingerabdrücke auf ein Formular gestempelt wurden, und wir konnten endlich den Segen des mobilen Internets und der günstigen gegenseitigen Erreichbarkeit auskosten.
Unsere Famulaturen begannen am Folgetag, wie üblich verbunden mit zeitigem Aufstehen, in dem Fall 05:30 Uhr, damit wir 08:00 Uhr auf der Matte stehen konnen. Die Eine machte sich auf zum Tehran Heart Center, um ihr kardiologisches Wissen zu vertiefen, der Andere zum Imam Khomeini Hospital (ja die Iraner ehren ihren Staatsgründer), um die Geheimnisse der Neurologie zu erkunden. Im Herzzentrum wurde Sandra an die Kardiochirurgen vermittelt, die sie bei den OPs hospitieren und die angeschlossene Intensiv- und Intermediate Care-Station begutachten ließen.

Während ich den hiesigen Studenten im Blockpraktikum folge und das Geschehen der Tagesklinik, der Station oder der Funktionsabteilung anschaue. Die Gemeinsamkeiten zur „deutschen“ Medizin sind sehr groß, alles ist recht modern und die Behandlung erfolgt nach internationalem Fachwissen.

Die Unterschiede sind beispielsweise, dass im Foyer der Krankenhäuser stets ein gigantischer Menschenauflauf vorzufinden ist - von Patienten im Anmeldeprozess, Besuchern und den begleitenden Angehörigen -, dass auch komatöse Patientinnen Kopftücher aufgesetzt bekommen, dass Krankheiten wie Brucellose, Behcet und Rheumatisches Fieber recht häufig sind,dass statt Alkoholkrankheit schon eher mal die Opiumabhängigkeit eine Rolle spielt, dass die tagesklinische Betreuung in der Art erfolgt, dass in einem größeren Raum vier Ärzte an vier Tischen sitzen und gleichzeitig Patienten untersuchen, wobei zusätzlich noch Angehörige, Schwestern, Schreibkräfte, Koordinatoren, wenn der Patient ein Sträfling (in gestreifter Kleidung) ist, auch mal ein Wärter mit Handschellen und nicht zu vergessen neun hospitierende Studenten, munter durcheinander laufen. Als Krönung erscheint dann noch ein Ober- oder Chefarzt, mit dem die schwerer zu managenden Patienten an einem fünften Tisch besprochen werden können - auf Privatsphäre darf nicht vertraut werden.

Im Herzzentrum wird wie am Fließband operiert, Assistenten bereiten z.B. die Gefäße für die Bypass-OP vor und der Herzchirurg kommt "nur" fünf mal am Tag, sechs Tage die Woche zum Gefäße annähen. Wenn man als Kardiologe aus dem sechsten Stock des Herzzenters schaut, kann man eigentlich aufhören, seine Patienten zu einem gesünderen Lebensstil anzuregen, denn bereits im Umkreis von 2km verschwimmen die Häuser der Stadt im Smog, der laut Wikipedia durch seine Folgeerkrankung täglich 27 Menschen in der Hauptstadt tötet.

Auch im Iran sind fast alle durch eine dem Staate angeschlossene Versicherung versichert, wenngleich diese nicht verpflichtend ist, private Vorsorge und Behandlung existieren ebenso. Aber was natürlich ganz anders ist und uns schwer beeindruckt hat, ist die Fähigkeit der Ärzte und Pfleger permanent umzudenken: Das iranische Medizinstudium ist in Englisch, die Fachbegriffe sind in Englisch, ebenso wie die Medikamentennamen. Das bedeutet aber nicht nur zwei verschiedene Sprachen, die ständig parallel zueinander gesprochen werden, sondern auch zwei verschiedene Schriften, zwei verschiedene Schreib- bzw. Lesrichtungen, zwei verschiedene Kalender und zwei verschiedene Zahlensysteme!

Das zwischen den Famulaturtagen befindliche Wochenende (bestehend aus Donnerstag und Freitag natürlich), nutzen wir ähnlich wie sehr viel andere Tehraner, um in die Berge zu fahren. Der Weg dahin ist natürlich viel befahren, der Eintritt in den von uns eigentlich als Ziel erkorene Nationalpark wird uns von den Parkwächtern verwehrt, da wir keine Zugangsberechtigung besitzen. Der zweite, den wir stattdessen ansteuern und welcher am Ende einer langen, durchgängig von Privateigentum gesäumten, Bergstraße liegt, bleibt uns nicht verwehrt. Vielmehr können wir uns mit den Parkwächtern mit Hand und Fuß verständigen, dass wir im Nationalpark schlafen können und werden noch einmal abends und am nächsten Morgen von ihnen aufgesucht, ob es uns ja gut geht und wir auch keine Probleme haben.

Nationalpark in den Bergen nördlich von Teheran
Wie üblich füllt sich unser idyllischer und des nächtens tatsächlich kalter (!) Stellplatz am Frei- und Feiertag mit picknicklustigen Iranern. Den schon vor dem Frühstück anrückenden Autos entfleuchten wir, um noch eine kleine Wanderung zu unternehmen. Diese endete jedoch in einem Debakel, da wir einen Hang, der von unten noch recht harmlos wirkte, sich bei näherer Betrachtung jedoch als supersteile Schotterpiste entlarvte, völlig unterschätzten, plötzlich irgendwie  zwischen Gipfel und rettendem Boden gefangen waren und nur mit Aufwand aller Kräfte und vieler Nerven wieder auf festem Grund landeten. Der Blick vom Gipfel hätte sich aber vermutlich gelohnt, wie wir am Abend feststellen mussten, denn man konnte sogar vom Teheraner Zentrum den Damarvand erblicken, was unserem deutschen Bekannten, der seit fünf Jahren in der Stadt lebt, nur einmal geglückt sei. Wie beeindruckend wäre das erst aus der Nähe gewesen.
Als wir in die Stadt zurückkehrten, wussten wir bereits, dass wir unseren schönen Stellplatz am Reiterhof nicht noch länger in Anspruch nehmen konnten. Aber unsere Vermittler waren auch in diesem Falle nicht untätig: Die Beiden hatten bereits mit einem Park-and-ride Parkplatz im Zentrum telefoniert und uns diesen als neuen Stellplatz empfohlen. Und um die Freundlichkeit noch auf die Spitze zu treiben, wurden wir  von ihnen am Mittwochabend auch noch zum Essen eingeladen. Was für liebe Menschen! Der Parkplatz im Zentrum nahm uns nach kurzem Gespräch gerne auf und so parken wir nun zwar mehr in der Stadtmitte, brauchen aber immer noch anderthalb Stunden bis zu den Krankenhäusern. Will sagen: Teheran ist ganz schön groß.

Unser Stellplatz im Herzen Teherans und der Ararat im Hintergrund

Was haben wir sonst für einen Eindruck von der Stadt? Mmmh … viel gesehen haben wir bisher nicht. Aber das, was wir sahen, ist einerseits nicht halb so schlimm, wie wir es befürchteten: Das Verkehrschaos gleicht in etwa Istanbul, die Fahrweise ist zwar noch etwas rabiater, aber mit genug Umsicht und naja, viel Mut, kommt man auch hier als Fußgänger über vielerlei Straßen.  Der Smog ist erträglich. Es gibt auch zahlreiche Grünflächen im Sinne von Parks oder Alleen, in die man sich zurückziehen kann. Und was man durch ihre schattenspendende Eigenschaft auch gerne tut. Andererseits scheinen die Gebäude durchgängig hässlich zu sein - alte, ehrwürdige oder ansehnliche Bauwerke bekamen wir noch nicht zu Gesicht – selbst die Moscheen sehen von außen eher langweilig aus. Die Stadt ist modern und sehr jung. Apple-Produkte, Coca-Cola, Ray Ban-Sonnenbrillen und Ähnliches sieht man allerorten. Die Kopftücher sitzen zum Teil sehr weit hinten, die Manteaus sind zum Teil sehr figurbetont, die Absätze der Schuhe zum Teil nur bedingt alltagstauglich. Viele weibliche, wie auch männliche Nasen weisen noch stolz die Pflaster der kürzlich erfolgten Schönheitsoperation auf,  die Gesichter der Frauen sind oft äußerst kunstvoll geschminkt. Die Herren tragen Marken-T-Shirts und Designer-Frisuren. Pärchen gehen Hand in Hand, Studentengrüppchen versammeln sich im Park und wenn nichts zu tun ist, spielt man halt Handyspiele.

Natürlich ist trotzdem der Chador (dieser schwarze, sehr weite Umhang, der umständlicher weise  vorne nicht ohne den Einsatz von Händen oder Zähnen zusammenhält) ein sehr häufig gesehenes Kleidungsstück, an Hauswänden sind sehr groß entweder die staatsgründenden Ayatollahs oder Märtyrer des Irak-Krieges als Gemälde verewigt, aber wenn man so etwas übersieht, gleicht Tehran vielen, vielen anderen Großstädten unserer Zeit.
Außerdem ist es für uns die Stadt der Begegnungen und der überwältigenden Freundlichkeiten. Hier nur einige ausgewählte Beispiele:
-          Der Handyladenbesitzer, der in Windeseile und mit unendlich vielen sicheren Klicks Sandras sich im deutschen (!) Sprachmodus befindliche Handy dazu bringt, sich mit dem Internet zu verbinden und uns anschließend noch geduldig erklärt wie man ein paar Megabytes extra dazu kaufen kann. Auf mehrmalige Nachfrage, wie wir ihm das vergelten können, winkt er nur ab. Einige Tage später möchten wir ihm endlich ein paar Irancell-Credits abkaufen, die er aber nicht veräußert, es sich aber nicht nehmen lässt, Kunden rauszuschmeißen, seinen Laden zu schließen und uns die vier Hauseingänge zu dem Geschäft weiterzuführen, in dem wir fündig werden können.
-          Der Philosophiestudent, der uns an der Metro warnt, in den nun folgenden (Express-)Zug einzusteigen, da dieser nach seiner Aussage „Krieg“ sei, weil unter Aufwendung aller körperlichen Mittel die Sitzplätze erkämpft werden. So geschah es tatsächlich und wir vertieften uns beim Warten auf den Folgezug ins Gespräch über die Heiratsmoral der Tehraner, die am Boden zu sein scheint, da es keinen gesunden Mittelweg zwischen Alleinsein oder Heirat, Modernität und Tradition gibt und man so sich so nicht mehr traut, jemanden überhaupt näher kennen zu lernen. Wir tauschen Emailadressen aus und er steigt extra an unserer Station, die gar nicht die seinige ist, aus, um das Gespräch und die Verabschiedung vernünftig zu Ende zu bringen.
-          Der OP-Pfleger, der sich selbst Deutschsprechen beigebracht hat und sich wie ein Schneekönig freut, mit uns zu kommunizieren und somit seine Kenntnisse zu vertiefen. Aus irgendeinem Grund hat er sich in Deutschland und unsere Sprache verliebt und arbeitet nun mit unendlicher Hingabe darauf zu, einmal nach Deutschland kommen zu können.
-          Die Assistenzärztin, die trotz Riesentrubel, 36-Stunden-Schicht und ständigem Wechsel zwischen Englisch und Persisch, in aller Ruhe Rede und Antwort zu allen Geschehnissen um sie drumherum steht.
-          Der Krankenpflegeschüler, der bereits jetzt in zwei Jobs als Pflegehelfer zusätzlich zu seiner Ausbildung arbeitet, organisierte Religion nicht abkann und wild über das Krankenhausgelände führt.
-          Der Büromitarbeiter, von dessen Wasserspender, der vor der Tür aufgebaut ist, wir immer wieder zwei sechs Liter Kanister Wasser füllen möchten. Statt eines Riesenaufstandes, warum wir wiederholt sein wertvolles Wasser klauen, bittet er nach innen in die Büroküche, wo sich ein richtiger Wasserhahn befindet, mit dem die Flaschen bitte zu füllen sind. Zum Abschied bedanken sich alle zehn Büromitarbeiter.
-          Die fünf Autofahrer, die uns in einem halbstündigen Stau mit ihren Autos passieren, uns alle in ein kurzes Gespräch verwickeln und uns in ihrem Land willkommen heißen. Einer winkt uns nach dem Stauende noch an den Straßenrand und lädt uns umgehend zu sich nach Hause ein. Wir mussten leider ablehnen, da unsere Parkplatzsituation für den Abend noch ungeklärt war. Wir bekommen die Telefonnummer mit der Bitte sich zu melden, es wäre doch eine Ehre uns als Gäste zu haben.
-          Die Vierergruppe Männer, die in den Bergen neben uns parken und gerade ein Feuer entfacht haben, als es zu regnen beginnt. Der Tee wird  dennoch gekocht  und uns davon zwei Tässchen und dazu Feigen angeboten. Da keine Englischkenntnisse vorhanden und meine Farsi-Kenntnisse enorm begrenzt sind, versuchen sie mit Händen und Füßen, die Sage um das Alborzgebirge zu erklären.
-          Die Studenten im Blockpraktikum, die mich umgehend zum Frühstücken mitnehmen, als wir von den Oberärzten vernachlässigt werden. Wir versuchen uns gegenseitig ein paar Brocken der Muttersprache beizubringen. Schlussendlich hört man immer wieder die Gruppe iranischer Studenten deutsche Wortfetzen üben: „Wie heißt du?“, „Ich liebe dich.“, „Mir geht es gut.“ und das sehr beliebte „Ich hasse dich, Arschloch!“
-          Die unzähligen weiteren Menschen auf der Straße, im Krankenhaus, in den Geschäften und in der U-Bahn, die uns nach unserer Herkunft fragen, wie uns der Iran gefällt und uns herzlich willkommen heißen. Die uns helfen, Fahrkarten zu kaufen, den Weg zu finden, auszuparken. Die zum Übersetzen herbeieilen, die uns mit Rat und Tat beiseite stehen.

Azadi-Turm in Teheran
Eine neue Moschee für Teheran

Die Gastfreundschaft in diesem Land ist absolut überwältigend und doch fühlt man sich ungeachtet der überschäumenden Freundlichkeit und Offenheit, nicht nur wohl.

Natürlich wird man als Europäer sofort erkannt, beobachtet, besprochen. Es gibt keinen Moment, in dem man nicht darauf achtet, wie man gerade läuft, wo man länger stehen bleibt und wie man wohl gerade aussieht. Und man ist nie, nie! allein. Außer vielleicht in der Cloud Machine, aber selbst da achtet man akribisch drauf, dass ja die Fenster zugezogen sind, denn sonst kann es schon mal passieren, dass Menschen ohne Scheu davor stehen und intensiv versuchen den Innenraum zu erkennen, auch wenn Sandra ohne Kopftuch und Mantel drinnen sitzt.

Die Hilfsbereitschaft nimmt  teilweise auch Züge von „Ich trau euch nicht zu, dass ihr das ohne mich schafft.“ an, eine Erklärung reicht nicht, man wird schon häufig aufgefordert, jemandem zu folgen, damit man ans Ziel kommt. Die Gastfreundschaft der Perser ist sicher wirklich einzigartig, aber auch etwas, dessen sich die Teheraner bewusst sind sodass sie stolz auf diese Kultur verweisen, nicht selten ohne Bezug zu Deutschland zu nehmen, wo die Menschen ja doch sehr verschlossen und unfreundlich seien. Auch die Offenheit beschränkt sich häufig darauf, Fragen zu stellen, unsere Antworten selber scheinen aber manchmal nicht von gesteigertem Interesse zu sein, zumindest wenn sie länger als anderthalb Worte sind.

Und für eine (europäische) Frau in männlicher Begleitung ist es auch nicht immer einfach. Nicht nur, dass Sandra im Gespräch häufig ignoriert wird und nicht eine einzige Frage an sie gerichtet wird, noch nicht einmal dann, wenn es darum geht, wie alle Gesprächspartner heißen. Es ist auch nicht immer einfach die korrekte Etikette zu finden – kann man sich als Frau in ein Gespräch unter Männern mischen oder gilt das schon als zu forsch?  Will man sich überhaupt einmischen, wenn man doch so geflissentlich ignoriert wird, die meisten Männer nicht einmal nach dem Namen fragen? Sitzt die Kleidung richtig oder zeigt man ausversehen zu viel Haare oder Haut? Wenn wir gemeinsam in den gemischten Teil der U-Bahn einsteigen, was für uns selbstverständlich ist, sind die Blicke der umstehenden Herren häufig verwundert bis latent erzürnt, was eine Frau denn hier in diesem vollbesetzten Zug will? Und auch sonst fühlt es sich völlig inakzeptabel an, die doch immer wieder massive Geschlechtertrennung hinzunehmen. Außerdem immer die Frage, wie darf man sich als Paar verhalten – Händchenhaltende Pärchen sieht man hier noch häufig, aber ein Küsschen in der Öffentlichkeit sorgt wohl für viel Stirnrunzeln. Und auch sonst besteht bei uns beiden viel Unsicherheit, wann man nun mal etwas sagen darf, wenn einem Dinge nicht passen – Wann stößt man jemanden vor den Kopf, verletzt ihn in seiner  Ehre oder gilt als undankbar? Diese permanente Unsicherheit, sich einerseits so zu verhalten, wie es der eigene Stolz doch wünscht und anderseits die hiesige Kultur zu akzeptieren, macht das Bewegen in der Stadt und vermutlich auch im Rest des Landes nicht ganz einfach.

 Es ist nicht so, dass uns irgendwer mit offener Feindseligkeit oder Zurechtweisung begegnet, ganz im Gegenteil – dennoch möchte man doch als sensibler Reisender  irgendwie ein gutes Bild seiner Zunft abgeben, was in diesem Land, mit derart das Miteinander bestimmenden Kulturen von Islam einerseits und Ta’arof (der persischen Kultur dessen, die eigenen Bedürfnisse denen des Anderen unterzuordnen) anderseits, an seine Grenzen geführt wird.

(Noch eine kleine Ta’arof Erklärung am Beispiel Krankenhaus: Es gibt, wie wahrscheinlich überall auf der Welt, unter medizinischem Personal eine Rangordnung. Häufig verlässt man, auch in Deutschland, dass Zimmer nach der Visite entsprechend dieser Ordnung: Der Chefarzt geht vor. So weit, so gut. Wer als nächstes den Raum verlässt, lässt sich Deutschland dann mehr oder weniger auf die einfache Formel herunterbrechen: Wer am nächsten an der Tür steht. Im Iran beginnt jedoch ein Spiel, welches das Ziel verfolgt, den anderen vorzulassen und hinaus zu komplimetieren. Ein Spiel, bei dem jeder mitspielen möchte und das jeder zur Perfektion treiben will. Das Zimmer zu dritt oder viert zu verlassen, kann also einen Moment dauern. Und man ist jedesmal froh, dass die Visiten nicht wie in Magdeburg auch mal mit 20 Mann abgehalten werden...)