Donnerstag, 2. April 2015

Stalin und das Schlammloch



Unser Versuch, den Kaukasus weiter zu entdecken und den hohen Bergen näher zu kommen, ohne in Regionen zu gelangen die zu hoch und zu kalt sind, gestaltete sich folgendermaßen:
Georgien besitzt ein angeblich wunderschönes Gebiet im Gebirge, das unter Anderem im Winter als Skigebiet genutzt wird. Doch abgeschreckt von den vorhergesagten nächtlichen Temperaturen entschieden wir uns für die etwas tiefer gelegene Region um Lentekhi, die zwar "nur" von Dreitausendern umgeben und touristisch kaum erschlossen ist, aber Nachts wenigstens Temperaturen um die Null Grad versprach. 

Um unserer Leidenschaft für das Internet entgegen zu kommen und auch mit unserer Visa-Bewerbung für den Iran langsam Fortschritte zu machen, mieteten wir uns in dem dorfeigenen Guest House ein. (Ein Haus, an dem in der oberen Etage sowohl an Türen als auch Fenstern komplett auf Schlösser oder andere Schließmechanismen verzichtet wurde, obwohl die Etage über eine Außentreppe mit Veranda zu erreichen ist.)
Die Zeit verbrachten wir damit, zwei der nahegelegenen Berge zu erkunden, indem wir den vorhandenen Feldwegen nach oben folgten. Als Alpentourist reichlich verwöhnt von Wanderwegen und ausführlichen Beschilderungen und Markierungen, stellt man hier sehr schnell fest, dass in Lentekhi noch nicht ausreichend Wanderer vorbeigekommen sind, um im ganzen Gebiet mehr als ein Hinweisschild zu platzieren. Doch die Schwerkraft half uns oben von unten zu unterscheiden und so ging es jeweils erst einige Zeit bergauf bis die Aussicht genossen werden konnten oder sich Wasser und Ausdauer zu Ende neigten und dann wieder herunter.
Unsere Wirtin, überglücklich, jemanden bewirten zu können, erprobte an uns ihr Englisch und die Kunden in dem ebenfalls zum Guest House gehörenden Dorfladen fragten auf Deutsch nach unserem Befinden oder rezitierten auch schon mal Zeilen aus Heines Lorelei. Deutsch in der Schule zu lernen war anscheinend zumindest früher in Georgien weit verbreitet.


Siesta in Lentekhi

Auf der ersten größeren Kaukasuswanderung


Von unsere Straßenkarte etwas verblendet, fuhren wir nach zwei Tagen noch weiter in das Tal hinein. Die als gelb markierte „State Importance Road“ hörte leider schneller als gedacht auf, auch nur ansatzweise asphaltiert zu sein und so wurde die Cloud-Machine auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz wieder als Offroader missbraucht. Nach einer viel zu lange andauernden nervenaufreibenden Fahrt im ersten und zweiten Gang fanden wir endlich einen Ort, der unsere Ansprüche zufrieden stellte: Nicht direkt neben der Straße, in der Nähe von fließendem Wasser und ein Stück ebene Erde. Der Bus musste nur einen Feldweg herabrollen und eine größere Schlammpfütze überwinden, danach konnten wir die warme Frühlingssonne genießen, lesen, Haare schneiden (diesmal Fabi bei Sani; in Kas schon einmal anders herum), Ukulele spielen und mit den nicht sehr detailgenauen Touristeninformationskarten unsere Wandertour für den nächsten Tag planen.

Die vielgerühmte "State Importance Road"

Ein Troubadour im Kaukasus


Am Morgen fast pünktlich aufbrechend, erklommen wir über den Tag einen Pass, der in das nördlicher gelegene, nächste Tal führt. Als wir am frühen Nachmittag jedoch die Höhe von zweitausend Metern erreichten und die Baumgrenze langsam in erreichbare Nähe rückte, entschlossen wir uns wegen des noch immer hoch auf unserem Weg liegenden Schnees, umzukehren. Natürlich nicht, ohne vorher trotzdem ausreichend den Blick auf die umliegenden Berge genossen zu haben.

Lieber Schneeschuh als Schnee im Schuh

Blick ins Tal bei der zweiten Kaukasuswanderung

Web 2.0-Technik, Beispiel 1: Das Selfie

Web 2.0-Technik, Beispiel 2: Der Screenshot (Verbesserungsvorschläge hier einfügen)

Mit der Nacht setzte leichter Regen ein und dieser macht ja bekanntlich trockene Erde zu schlammiger Erde… Nach einer erholsamen Nach mit erschöpften Beinen machten wir uns wieder abfahrbereit, überwanden mit dem Bus noch gekonnt die jetzt größer gewordene Pfütze und standen nun an der Auffahrt zur Straße. Der unterste Abschnitt war in Kombination mit der aufgeweichten Erde und den darunter liegenden glatten Steinen zu steil und jeder Anfahrversuch endete mit durchdrehenden Reifen. Nachdem wir nach zwei Stunden durch das  Unterlegen von Hölzern, Steinen und Türvorlegern ungefähr einen Meter von Zwanzig gut gemacht hatten und der Türvorleger ruiniert war, mussten drastischere Maßnahmen ergriffen werden:
Auf der viel befahren „State Importance Road“ kam genau in dem Moment im Schneckentempo ein Jeep über die Schlaglöcher geholpert. (Übrigens auch das einzige Auto in der nächsten halben Stunde) Von meinem gequälten Gesicht scheinbar überzeugt, hielt der Fahrer, ein älterer Herr im Sonntagsstaat, an und verstand durch die Imitation von durchdrehenden Reifen sofort unser Problem. Nachdem er sich unsere Misere, etwas belustigt, genauer besehen hatte, tätigte er ein Telefonat und unterhielt uns die nächsten zwanzig Minuten mit Gesten und deutschen, englischen, russischen und georgischen Sprachfetzen. Unsere Rettung traf in Form eines Pickups, beladen mit drei Männern ein, die am Sonntagmittag für uns innerhalb kürzester Zeit 20 Kilometer, davon 10 km Holperstrecke, überwunden hatten. Die Cloud-Maschine wurde innerhalb von einer Minute am Abschleppseil auf die Straße gezogen und die Helfer verschwanden, schneller als sie gekommen waren, ohne mehr als ein „Danke“ von uns anzunehmen.

The Schlammloch of Destiny


Plötzlich standen wir wieder allein auf der Straße, mussten uns erstmal einen Moment sammeln und schafften es dann nur noch zurück bis zum oben erwähnten Guest House in Lentekhi, um von dem Tag zu regenerieren.
Vom stärker werdenden Regen ließen wir uns am folgenden Morgen wieder auf die Straße treiben und brachen zu einem weiter südlich gelegenen Stausee auf. Unterwegs füllten wir Vorratskammer und Tank auf und besichtigten in Nikortsminda eine Kirche aus dem 11. Jahrhundert, welche uns, erstaunt und begeistert von den reichen Wandbemalungen, wieder entließ. Unseren nächtlichen Stellplatz wählten wir diesmal noch nach einem weiteren Gesichtspunkt: ebener, gut befestigter Weg bis zur auserkorenen Parkmöglichkeit.

Weg nach Nikortsminda (keine State Importance Road)

Weinhänge

Die Kirche von Nikortsminda

In der Kirche von Nikortsminda

Der Stausee, unser Platz für die Nacht

Da ist bei uns noch Platz nach oben...

Auf dem Weg nach Gori


Die 200 Straßenkilometer des darauffolgenden Tages brachten uns in die Nähe von Gori, eine Stadt direkt südlich des 2008 umkämpften Gebietes Südossetien, die damals auch bombadiert wurde. Doch nicht nur die neuere Geschichte hat ihren Einfluss ausgeübt, sondern auch die etwas ältere: Gori ist die Geburtsstadt Iosseb Dschughaschwilis, uns besser bekannt als Josef Stalin. Im Zentrum erinnert sein, unter einem Pavillon erhaltenes, Geburtshaus und ein daran angeschlossenes Museum an den Sohn dieser Stadt.
Natürlich haben wir das alles ausgekundschaftet und müssen leider etwas enttäuscht zusammenfassen, dass sich seit der Errichtung des Museums zu Zeiten der Sowjetunion scheinbar nicht viel verändert hat. Die Einrichtung führt durch das Leben eines großen, guten Mannes. Es gibt vor allem Fotos, oft recht propagandistische Bilder mit einzeiligen Beschriftungen; längere, erklärende Texte gibt es keine und alle Zweizeiler gibt es nur auf Georgisch und Russisch. Das Museum wurde eingerichtet, um einen Menschen zu verherrlichen. Kritik wird keine geübt.
Erst jetzt, bei der nachträglichen Recherche fanden wir bei Wikipedia einen Eintrag, dass nach dem russisch- georgischen Krieg angeblich eine Tafel vor dem Museum mit folgendem Wortlaut angebracht wurde: "This museum is a falsification of history. It is a typical example of Soviet propaganda and it attempts to legitimise the bloodiest regime in history." Gesehen haben wir die Tafel allerdings nicht.

Gori in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit

Vor der Festung von Gori

'Tis but a scratch
(Mahnmal für den 2008er Südossetien-Krieg)

Hintergrund: Stalinmuseum
Mittelgrund: Stalins Geburtshaus
Vordergrund: ---

Ausstellungsstück im Stalin-Museum

Souvenirs aus dem Stalin Museumsshop (Es gab auch Messer und Patronenhülsen mit Stalins Konterfei)

Der Waggon in dem Stalin unter Anderem zur Jalta-Konferenz reiste

Badezimmer im Stalin-Waggon


Mit einigen neuen, unbeantwortet gebliebenen Fragen zu Stalin im Kopf, machten wir uns auf den Weg zum nächsten schlecht beschrifteten Museum… Uplistsikhe, eine Höhlenstadt die bereits im 6. Jh. v.Chr. gegründet wurde und bis zu ihrer Zerstörung im 13. Jahrhundert ein wichtiges Handelszentrum auf der Seidenstraße darstellte.  Wir genossen den Blick über das unter uns liegende Tal und kletterten über die Höhlenwohnungen, die vor allem durch ihre Größe und Statik beeindrucken.

Uplistsikhe

Sani in Uplistsikhe

Blick von Uplistsikhe auf das Mkvari-Tal

Halle in der Höhlenstadt



Mit dem bevorstehenden Osterwochenende nähern wir uns langsam der Hauptstadt und können uns hoffentlich auf ein paar ruhige Feiertage freuen, da die georgisch-orthodoxe Kirche die Auferstehung Christi erst eine Woche später feiert.

Unser "versteckter" Stellplatz für die Nacht