Sonntag, 12. April 2015

Abschied aus Georgien

Statue des Heiligen Georg in Tiflis


In der Woche vor Ostern besuchten wir Mtskheta, der Ort, indem das Christentum seinen Anfang als georgische Staatsreligion fand. Im 4. Jahrhundert nach Christus soll eine Frau aus Kappadokien namens Nino nach Georgien verschleppt worden sein, die anschließend hier gelebt, gebetet und gepredigt habe. Nachdem es ihr gelang, die schwerkranke Königen des Landes zu heilen, trat der damalige König zum Christentum über und ließ es zur Staatsreligion ausrufen.
In Mtskheta gibt es drei Kirchen, die an den Stellen erbaut worden sind, an denen die heilige Nino und König Mirian gewirkt haben sollen, so z.B. das Jvari-Kloster auf einem Berg über der Stadt, auf dem beide gemeinsam ein Holzkreuz errichteten. Oder die Kathedrale im Zentrum, an deren Stelle früher eine vom König erbaute Holzkirche stand und unter deren Fundamenten der nach Georgien gerettete Mantel Jesus Christus` liegen soll. Hier löste sich für uns auch das Rätsel über die eigenartige Form des georgischen Kreuzes: Nino soll von der heiligen Mutter Maria ein Holzkreuz aus Weinreben erhalten haben, welches mit Eigenhaar zusammengehalten wurde…

Jvari-Kloster über Mtskheta

Darstellung der Heiligen Nino mit ihrem Kreuz

Kathedrale in Mtskheta

Innenraum der Kathedrale


Mtskheta ist ansonsten eine kleine Touristenhochburg; das Zentrum wurde vor einigen Jahren komplett renoviert und wirkt noch etwas unbelebt. Es gibt aber für das 7000-Einwohner-Nest wunderbar viel Schnickschnack zu kaufen, wie unsere neu erworbene, sehr traditionelle, sehr warme Schafsfellmütze.



Das Wollschaf


Das Osterwochenende verbrachten wir in Tiflis, einer Stadt voller unterschiedlicher Ecken. Ähnlich wie schon in Mtskheta, bloß in etwas größeren Dimensionen, entdeckten wir Stadtteile, die komplett renoviert und für die Touristen schön gemacht wurden, und dann wieder Ecken, in denen viel mehr Leben stattfand, aber alles etwas runtergekommen wirkte… So finden sich auch die erst neu erbaute Kathedrale und der Präsidentenpalast in einem der ärmsten und kaputtesten Viertel. Es scheint, als sei die Stadt noch auf der Suche nach einem passenden Gesicht. Alles in allem gefiel es uns aber gut, durch die Straßen zu wandern und in der Sonne zu sitzen, auf die umliegenden Hügel zu klettern und das Treiben in Tbilisi zu beobachten.

Kathedrale in Tiflis

Im Zentrum von Tiflis, ein Theaterturm

Blick auf die Hauptstadt mit Kathedrale, Präsidentenpalast und eigenartigem, noch unfertigen Gebäude, dessen Sinn sich uns nicht erschloss. Und Zwerg.

Tiflis, in der Nähe unserer Unterkunft

An einer neu renovierten Einkaufsstraße in Tiflis.
Die Osternacht wiederrum zeigte uns ein weiteres Gesicht der Stadt. Es gibt in Tiflis eine katholische Kirche, in der Sonntags englische Gottesdienste angeboten werden. Weil ich aber noch nie bei einer Osternacht dabei war, entschieden wir uns, in eben dieser Kirche der Osternacht beizuwohnen. Allerdings auf Georgisch! Abends um elf sollte es losgehen, halb zwölf waren mehr oder weniger alle Gemeindemitglieder versammelt und die Kerzen wurden am Osterfeuer entzündet. Es folgte ein fünfstündiger Gottesdienst, in dem viel vorgelesen, aber von den Gemeindemitgliedern auch viel frei gesprochen und gebetet wurde, immer wieder unterbrochen von kraftvollen, wunderschönen Gesängen. Den Abschluss bildeten eine Taufe, in der das Baby vollständig in das Taufbecken getunkt wurde und natürlich die Gabe von Brot und Wein. Wir spielten zwischendurch mehrmals mit den Gedanken, aufzustehen und in unser Bett zu verschwinden; vor allem da wir eigentlich nichts verstanden außer Halleluja, Maria, Abraham und Israel. Irgendwann verflog aber die Müdigkeit und spätestens, als sich die gesamte Gemeinde um halb fünf Uhr morgens in der Mitte der Kirche zusammenfand, um miteinander im Kreis zu tanzen und zu singen, waren wir froh, dass unsere Neugier gesiegt hatte und wir geblieben waren. Etwas schummrig im Kopf wankten wir nach Hause und verschliefen entspannt den englischen 10:00 Uhr-Gottesdienst…




Ein weiteres Highlight unseres Tiflis-Besuches war das National-Museum, das über vier Stockwerke bunt gemischt von der Geschichte Georgiens zeugte. Von den ältesten Skelettfunden aus der Region, über immer noch sehr alte Goldschmiedearbeiten, einem Abstecher zum Nationalhelden Schota Rustaweli und seinem Epos „Der Recke im Tigerfell“, einigen Einsprengungen aus ägyptischer, iranischer und chinesischer Kulturgeschichte bis zu der Abteilung „Georgiens Unterdrückung durch Russland“ 1921-1991. (Letzteres zwar ähnlich einseitig, aber mit genau entgegengesetzter Stimmung zum Stalin-Museum in Gori.) 

Neben dem Nationalmuseum

Nach diesem historischen Schnelldurchlauf brachen wir am Dienstag in die im Osten gelegene Weinanbauregion Kakheti auf. Schnell mussten wir feststellen, dass wir ein wenig ziellos unterwegs waren und es eigentlich beide nicht auf Tage voller Weinverkostungen abgesehen hatten. Das „entspannte Warten“ auf das Iranvisum schlug zumindest in meinem Kopf in „irgendwie noch mehr Zeit totschlagen“ um. Anstatt nun aber einfach so durch die Gegend zu gondeln und sich Weinberge anzugucken, versteckten wir uns für ein paar Tage vor der Zivilisation, ließen die Seele baumeln und begannen unsere Ausreise aus Georgien zu planen und für Armenien unsere etwas abgeflaute Entdeckerfreude wieder neu zu beleben!

Die Cloud Machine zwischen Weinbergen

Weinregion Kakheti: In der Ebene Felder und Städte und dahinter der Kaukasus.


Mit einer Liste noch zu erledigender Dinge im Kopf fuhren wir zurück nach Tiflis. Mit der Aussicht, vielleicht irgendwann den Iran bereisen zu dürfen, begannen wir US-Dollar abzuheben, welche eigentlich an allen georgischen Geldautomaten verfügbar sind. Es galt einige Briefmarken zu besorgen, den Reifendruck zu überprüfen, Kühlflüssigkeit nachzufüllen und eine unserer Gasflaschen zu befüllen, die uns mit ihren 5 kg gut durch die letzten drei Monate gebracht hatte.
Ein Englisch sprechender Tankwart war uns bei den drei letztgenannten Aufgaben eine große Hilfe und schrieb uns extra noch einen Zettel auf Georgisch, mit dem wir uns letztendlich bis zum Gasmann durchfragen konnten. Die Gasauffüllstation stellte sich als alter russischer Tankwagen heraus, an dem eigentlich nur ein Mann beschäftigt war, aber trotzdem fünf weiter Männer um uns herum standen, das Auto begutachteten, übersetzten oder eben einfach da waren, weil sonst nichts Spannendes passierte.
Auf dem weiteren Weg zur armenischen Grenze feierten wir passend zum georgischen Osterfest Weihnachten: Die letzten georgischen Lari wurden in das Epos des Schota Rustaweli investiert und in eine Großladung Pfefferminztee, den wir zufällig in einem Smart-Supermarkt voller "Gut und Günstig"-Artikel entdeckten. (Irgendwie gearteter Kräutertee war bisher in Georgien kaum auffindbar.)

Straße in Marneuli (Südlich von Tiflis)

Wie Weihnachten: Das Epos, nach dessen Verfasser fast jede Hauptstraße in Georgien benannt wurde; dunkles Brot und Pfefferminztee.

Unser letzter Stellplatz vor der armenischen Grenze.


Mit dem Grenzübertritt nach Armenien verlassen wir nun, nach fast einem Monat, ein Land, das wir sehr lieb gewonnen haben - durch seine unglaubliche Natur und Geschichte und die vielen freundlichen und hilfsbereiten Menschen, denen wir immer wieder, wenn auch manchmal nur kurz, begegneten.
Wie haben wir Georgien sonst wahrgenommen? Es ist ein Land, in dem es für jede Kleinigkeit einen extra Laden gibt, z.B. Tankstellen, Autowerkstätten, Reifenwechselbuden, Verkaufsstände für Fahrzeugzubehör und Autowäschen sind zwar in der Nähe voneinander angesiedelt, werden aber einzeln betrieben. Supermärkte und Obst- und Gemüse-Händler sind mindestens zwei verschiedene Sachen. Überhaupt wird die Versorgung des Landes von nur wenigen Supermärkten, stattdessen aber von tausenden kleinen Tante-Emma-Läden zusammengehalten. Die Supermärkte wiederum bestachen durch ein breites Sortiment an Wein und Bier in 2 Liter PET-Flaschen nebst umfangreicher Spirituosen-Auswahl, welche für gewöhnlich als Schaufenster-Dekoration diente. Die KFZ-Industrie scheint davon zu leben, alte Ford Transits aus Deutschland zu importieren, ohne die Notwendigkeit einer Neulackierung in Erwägung zu ziehen.

Ein Gruß aus der Heimat
Heckschürze ist für Anfänger

In neue Front- und Heckschürzen, wenn die alten den Straßen zum Opfer gefallen sind, wird nur investiert, wenn die Scheinwerfer und das Nummernschild wirklich nicht mehr halten. Die Polizei hat die neusten Autos und die schicksten Gebäude. (Übrigens auch die neuesten Mitarbeiter, da wegen Korruption 2005 alle Bisherigen entlassen wurden.)

Ein Land, das versucht, sich zum Westen hin zu orientieren, dem man aber die russisch geprägte Vergangenheit immer wieder ansieht. (Unteranderem merkten wir es daran, dass uns von praktisch allen Leuten, mit denen wir uns versuchten zu verständigen, angeboten wurde, Russisch zu sprechen.) Und ein Land, das dann wiederum trotz sowjetischer Vergangenheit stark mit seiner Religion verwurzelt ist, wovon nicht nur die vielen Kirchen und Kreuze zeugen, sondern auch die Menschen, die sich beim Anblick dieser Kirchen und Kreuze regelmäßig bekreuzigen.
Das Essen ist reichhaltig und wird besonders gern mit Mayonnaise verziert; bei den Gerichten bei denen diese dann aber doch nicht passen sollte, wird unglaublich gut gewürzt.
Die Gasleitungen laufen alle oberirdisch, wie ein riesiges Kunstprojekt mit gelben und rostroten Rohren, durch die Orte. Ab und zu sind die Leute auf Eseln oder mit Ochsengespannen unterwegs, da wo das Land flach ist, ziehen Kuh- und Schafhirten mit ihren Herden über die Grünflächen.

Georgien- in den zahlreichen Touristeninformationen als "Country of Life" beworben, war spannend, beeindruckend und überraschend. Vielen Dank!