Sonntag, 15. März 2015

Georgien und ein Streichelzoo auf der Straße

Wir verließen die Türkei am Grenzübergang bei Sarp am schwarzen Meer. Vor uns reite sich eine lange Schlange georgischer und türkischer Autos und wir verdrehten ein wenig über uns selbst die Augen, dass wir ausgerechnet an einem Samstag Nachmittag den Weg in unser nächstes Reiseland antreten müssen... Aber nach einer guten Stunde Stop-and-Go erreichten auch wir die ersten Kontrollhäuschen. Unsere Pässe wurden fleißig gestempelt, für unser Auto oder uns interessierte sich auf der türkischen Seite niemand ernsthaft und nach der jeweiligen Kontrolle unserer Papiere wurden wir immer weiter gewunken. An der georgischen Grenzstation angelangt, wurden wir von einem gut gelaunten Mitarbeiter in überraschend guten Englisch ein wenig zu unseren Absichten befragt. Was ist ihr Reiseziel? Transportieren sie noch weitere Fahrgäste? Ein kurzer Blick in unser Auto und schon ging es weiter zum erneuten Ausweise stempeln. "Welcome to Georgia"!

"Grenzsteine", noch in der Türkei
Eine Grenze zu passieren hält immer einige Überraschung bereit. Eigentlich ist man nur wenige Kilometer auf der selben Straße gefahren und trotzdem ist man plötzlich in einer ganz anderen Welt. In der es zum Beispiel schon zwei Stunden später ist, als noch vor fünf Minuten... Auf türkischer Seite hatten wir uns beim warten noch über die Moschee an der Grenze gefreut, da diese mit Sicherheit öffentliche Toiletten bereit halten. In Georgien erwartete uns die erste Kirche seit langem und es werden wohl noch viele folgen. Die Frauen tragen statt langer Mäntel und Kopftuch plötzlich kurze Lederjacken und Pelzimitat. Die Straßen haben schon jetzt, nach zwei Tagen, den Preis für die Schlechtesten auf unserem bisherigen Weg gewonnen. Obwohl wir doch durch Rumänien gefahren sind... Die Häuser erinnerten uns in den ersten Orten irgendwie an Amerikanische Südstaaten, große quadratische Holz- oder rostende Blechhäuser mit großer Veranda und vom Frühling überquellenden Gärten. Überhaupt wirkt Georgien unglaublich grün auf uns, nach dem trockenen Zentralanatolien. Alles scheint den Frühling zu begrüßen und zu wachsen, die Gärten sind überseht mit blühenden Osterglocken, Forsythien, Tulpen- und Hibiskusbäumen und etwas bisher nicht identifiziertem, knallig Pinken.
Zwischen meinen erstaunten Ausrufen über die Flora war Fabi beim Autofahren auch immer wieder mit der hiesigen Fauna konfrontiert, zumindest der domestizierten. In Georgien scheinen noch glückliche Schweine, Kühe, Pferde, Ziegen, Schafe, Enten, Gänse und Hühner zu leben. An die fünf letztgenannten und die obligatorischen Hunde, die uns seit Ungarn begegnen, waren wir im Straßenverkehr ja bereits gewöhnt. Hier laufen nun auch die größeren Haustiere frei und uneingeschränkt durch die Dörfer, liegen am Straßenrand in der Sonne, stehen auf Zebrastreifen, oder einfach so mitten auf der Fahrbahn herum und erfreuen sich ihres Daseins.

Endlich verstanden, warum das Schwarze Meer eigentlich Schwarzes Meer heißt

Pracht(neben)straße in Poti, Georgien

Häuser in Poti
Eine Dorfstraße mit Blütenpracht

Die Kuh und der Zebrastreifen
  
Ein Schwein unter Palmen

Menschen sind uns bis jetzt wenige, aber sehr hilfsbereite begegnet. Die Touristeninfo in Zugdidi hat uns mit sämtlichen Flyern versorgt, die man wohl zu Westgeorgien besitzen kann, inklusive Wetterbericht für die nächste Woche. Die Rezeptionistin im Anaklia-Hotel in !Achtung! Anaklia, die scheinbar mindestens deutsch, englisch, russisch und georgisch spricht, hat sich zusammen mit drei weiteren Mitarbeitern um eine Möglichkeit für uns bemüht, möglichst preisgünstig in Anaklia unterzukommen, ohne Dusche und Internet missen zu müssen. (Dazu folgende Ausrede: Ohne Internet wohl auch kein Iran-Visum! :-( Und ohne Dusche, eben keine Dusche.) Am Ende sind wir zum halben Preis direkt im Hotel geblieben, denn auch des schwarze Meer in Georgien ist nicht gerade von der überbordenden Wintersaison gezeichnet...

Am Strand von Anaklia

Wie es uns sonst so geht:

Wir sind nun seit mehr als zwei Monaten unterwegs und haben um die 6400 km überwunden, Georgien hält die fünfte Währung bereit, die auch wie die türkischen Lira und die iranischen Rial aus den selben Buchstaben besteht, sich zur Abwechslung aber Lari nennt. Die Zeitverschiebung beträgt drei Stunden, solange in Deutschland noch Winterzeit gilt. Und die Welt ist erneut eine andere. (Ich weiß, dass ich mich an dieser Stelle wiederhole. Aber wenn man sich für mehrere Wochen an die Gegebenheiten in der Türkei gewöhnt hat, vielleicht die Leute ein wenig einschätzen kann, einiges von dem Essen, dass in Imbissen verkauft wird, mal probiert hat, Worte wie ja/nein/eins/zwei/danke/Guten Tag/Hühnchen/Rind/Fisch/Brot/Reis/Tee/lecker schon recht locker von der Zunge gehen, auch wenn "Auf Wiedersehen" noch immer mit "Good Bye" überspielt wird, und natürlich tausend andere Kleinigkeiten gelernt hat, die Teil eines Landes sind, ist es auch schwer wieder von vorn anfangen zu müssen und nicht nur spannend.)

Nach den vielen Fahrtagen seit Göreme sehnen wir uns mal wieder nach einer Pause, suchen aber wohl zu sehr nach einem Ort, an dem wir uns wirklich wohl fühlen. Der Versuch sich einfach treiben zu lassen, endet manchmal mehr in dem Gefühl, getrieben zu werden. Die letzten Tage waren zwar gezeichnet von günstigen Übernachtungsarrengements, ließen aber immer nur die Option, am nächsten Tag wieder aufzubrechen und weiterzusehen. Neuer Ort, neue Menschen, neue Gegebenheiten, wenig feste Anlaufpunkte. Auf Angaben im Internet kann man sich um diese Jahreszeit eigentlich nie verlassen. Es bleibt Trial and Error jeden oder jeden zweiten Tag. Wir haben zwar unser kleines Haus dabei, aber der Stellplatz entscheidet über den Wohlfühlfaktor. Und manchmal ist wohl auch diese Art des Reisens sehr zu hinterfragen: Wir bewegen uns immer in unserem eigenen, kleinen Reich, dessen Vorteil ist, die Umgebung ausschließen zu können, aber auch sein größter Nachteil. Die Menschen denen wir begegnen, sind meistens Campingplatzbesitzer und Tankwarte, die wenig mit uns anzufangen wissen, noch wir mit ihnen. Die Natur zieht mit 50 - 80 km/h an uns vorbei und ist fort.

Wir sind gespannt, ob der Kaukasus uns trotz März für ein paar Tage ein Wandererlager aufschlagen lässt, um die Welt um uns herum ein paar Tage weniger durch eine Scheibe zu betrachten.