Sonntag, 1. Februar 2015

Istanbul für Anfänger


Schon kurz nach dem Grenzübertritt in die Türkei konnten wir in der kleineren Stadt Kırklareli die Feststellung machen, dass das Leben mit Überschreiten der Staatsgrenze im Wesentlichen an und auf der Straße stattfindet. Sobald wie da den Ortskern erreichten wuselte es überall. Autos flitzten durch die Gassen, Menschen liefen kreuz und quer, riefen, telefonierten, erzählten. Kleine Geschäfte noch und nöcher. Überall Lichter, überall Musik. Wenngleich latent überfordernd, war es doch herzerwärmend. Fremd und doch einladend. Bezaubernd. Willkommen im Orient.

Dass die obrige Feststellung sich auch auf weitere Städte und speziell auch auf Istanbul übertragen lässt, dessen wurden wir umgehend gewahr. Das Autofahren, wurde zunehmend davon geprägt, Menschen, Hunden und tieffliegenden türkischen PKW-Kapitänen schon halb an seiner Stoßstange zu sehen, aber letztendlich doch irgendwie nicht zu berühren. Geschwindigkeitsbegrenzungen waren, wie bereits im verrückten rumänischen Straßenverkehr, praktisch unangewandt. Kreuzungen funktionieren nach dem Prinzip: Dreist ist geil. Und warum sorgen, es funktioniert doch alles? Trotzdem zurrte sich der Knoten enger, je näher unser Ziel - eine Straße am Bosporus - rückte. Eine Autolawine ergoss sich über die Ausfallstraße, die zum Zentrum führt. Im Schritttempo. Dann wieder ganz unerfindlich mit sportlichen Einhundert Stundenkilometern, nur um wieder zum Kriechen zu kommen. Wir entschieden uns, doch dem Navigationsautomat ein Schnippchen zu schlagen, verlieren aber im Gassengewirr den Überblick. Navi, du hast gewonnen. Weiter entlang von Hauptstraßen, Nebenstraßen, Gassen, sehr großen Straßen. Autos kommen von vorne, hinten und beiden Seiten mit Vollgas angeflogen, zweimal verpassen wir eine Abfahrt, um unter massiver Verletzung der StVO irgendwie zu wenden. Bis wir es doch irgendwie ans Ziel schaffen, durchgeschwitzt. DieHerzfrequenz nähert sich wieder dem Zweistelligen. Der Muezzin singt. Angekommen.

An einem einfachen Stellplatz, an einem Fußballplatz gelegen. Ein freundlicher Platzwart radebrecht auf Englisch, dass wir für 40 TL pro Nacht alles inklusive bekommen. Einen bewachten Parkplatz, Strom, Wasser, die schiebende Geräuschkulisse der Kennedy-Straße und die Rufe der Fußballer, einen gemeinsamen Duschraum mit ihnen, sowie eine Toilette mit Trittflächen und Loch. Glücklich und zufrieden richten wir uns kurz ein, um umgehend die nähere Umgebung zu erkunden und uns letztendlich über das Goldene Horn im nie abreißenden Strom der vielen Menschen bis hoch auf den Taksim-Platz spülen zu lassen. Inklusive netter Abendbespeisung in einem niedlichem Restaurant, wobei wir vom gesamten Personal (so wie auch alle anderen Gäste) intensiv besprochen werden. Die Gegenden die wir durchschreiten, Fatih und Beyoğlu, sind ein Wunderwerk des Einzelhandels. Komplette Straßen, in denen es nur Vorhänge oder nur Brautkleider oder ausschließlich Telefonzubehör oder Uhren zu erwerben gibt, sind ebenso vorhanden, wie kleine Geschäfte voller chinesischem Krims und handgemachtem Krams und je mehr man sich dem Taksim nähert desto eher werden die westlichen Ketten gefranchised. Mittendrin noch Händler am Bürgersteig mit Schuhen, Uhren, Krawatten, Hemden, Kleidern, Stände mit Essen, Gemischtwarenläden, Restaurants und Kneipen, und nicht zuletzt Leute an Straßenkreuzungen, die ihren Unterhalt damit verdienen, einzelne Taschentuchpackungen, Schlüsselanhänger oder Zigaretten zu veräußern. Alles, was nicht vom Handeln erfüllt ist, ist eine Bank oder Werbung. Vor lauter Geschäftigkeit lässt man Blicke auf die Architektur oder das Stadtbild außer Acht.

Bereits auf dieser Strecke lernen wir schnell, uns die entsprechenden Gepflogenheiten eines Fußgängers anzunehmen, sprich über Straßen gehen, sobald sich eine kleine Lücke zwischen der unendlichen Autokolonne bildet, immer noch mit einem Seitenblick auf die komplett unberechenbaren Mopeds. Ansonsten fühlen wir uns recht wohl, lediglich eine Ecke ist gespenstig dunkel und erstaunlich menschenleer, bis auf zwei düstere Gestalten, denen wir dann nicht geneigt sind "merhaba" zu sagen. Aber abgesehen davon kam in allen acht Tagen bisher nicht das Gefühl der Bedrohung oder Unsicherheit auf.

Der Folgetag, ein Sonntag, wird genutzt, um erstmal ein klassisches Touristenprogramm abzuspulen. Ayasofya, Blaue Moschee, Basar. Ersteres war trotz seines stattlichen Eintrittes von umgerechnet zwölf Euro sehr sehenswert. Früher bekannt als die größte Kirche der Christenheit, später als die Blaupause aller Kuppel-Moscheen der islamischen Welt. Nun ein Museum. Ein gigantischer Innenraum empfängt uns, mitsamt eines großen Gerüstes. Bei genauerer Betrachtung schälen sich uralte Mosaike und Reliefe, Ornamente oder eingekratzte Unterschriften aus dem gewaltigen Ganzen. Die ganze Kuppel ist ausgelegt mit goldenen Mosaiksteinchen, eine große Tür besteht ausschließlich aus Marmor und so weiter und so fort. Bei genauerem Hinsehen überfällt einen ein verschwenderischer Prunk aus zwölf Jahrhunderten, wie es sich für eine Hauptkirche und Hauptmoschee gehört.
Ebenfalls prunkend wurden wir von der Blauen Moschee überwältigt. Hier aber völlig anders: Ein großer Raum, den man in einem überblickt und von der, einen unvermittelt treffenden, gebündelten Schönheit förmlich in die Knie gezwungen. Gold, Verzierungen, Fliesen, hohe Kuppel, Teppiche, Riesenkronleuchter und ein predigender Iman. "Alluha" scheint wirklich "akbar" zu sein - vor allem seine Räume. Auch die später besuchte Süleymaniye-Moschee kann durch schiere Größe und Anmut einen nur beeindruckt staunen lassen. Beide Moscheen waren mithilfe von Informationstafeln oder Redeangeboten mit dem Iman oder Muezzin im Übrigen sehr darauf ausgerichtet, den interessierten Nichtmuslim den Islam etwas näher zu bringen. Seine intensive Verknüpfung mit Juden- und Christentum (neu zum Beispiel: Maria, also die Mutter Jesus', ist die einzige Frau im Koran, der eine ganze Sure gewidmet wurde.), die zahlreichen Lehren, die auf Friede, Toleranz, Großherzigkeit ausgerichtet sind und auch die entsprechenden Worte des Propheten, die einen respektvollen Umgang mit Frauen anmahnen. Es gibt noch viel zu Lernen zu diesem Thema.

Der Basar ist im Übrigen sonntags geschlossen, wie wir am eigenen Leib erfuhren. Die Gassen, die hinführen, waren verweist, die Tore fest verschlossen. Auf dem Rückweg gehen wir noch einem findigen Schuhputzer auf dem Leim, der uns als Dank dafür, dass wir ihm die "versehentlich fallen gelassene" Schuhbürste hinterher bringen, die Schuhe reinigt, nur um dann die rührende Geschichte seiner im Krankenhaus befindlichen Frau und seinen drei Kindern, um die er sich allein kümmern muss, zu unterbreiten, verbunden mit der Bitte doch ein wenig Geld für seine Familie da zu lassen. Wir sind reichlich überrumpelt und drücken ihm ein paar Geldstücke in die Hand, obwohl er wohl eher mit Scheinen gerechnet hatte und gehen weiter, ohne mit der Lösung wirklich zufrieden zu sein.
(Erst als heute ein um einiges jüngerer Schuhputzer genau den selben Trick an uns versuchte, ging uns langsam auf, dass wir "nur" in die scheinbar reguläre Touristenfalle gestolpert sind.). Traurig über das gesäte Misstrauen sind wir trotzdem.

Hagia Sophia, Hauptraum, Man vergleiche Mensch - Säule - gesamte Raumgröße.

Hagia Sophia, innen

Hagia Sophia, außen

Hagia Sophia, hinten

Sultan-Ahmed-Moschee, genannt Blaue Moschee

Vor der Süleymanye-Moschee. Sanis Kopftuch sitzt.

Süleymaniye-Moschee, innen.

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